Erika Schulze, geborene Bloedom

Erinnerungen an meinen Kriegseinsatz in der Luftmunitionsanstalt 2/XII – Frankenberg

Wie ist es wohl, wenn man als junges Mädchen (geboren 1926) mit den Auswirkungen des Krieges konfrontiert wird?

In meinem Elternhaus – Forsthaus in Roda – wohl behütet, mittlere von drei Töchtern, bin ich aufgewachsen. Mit meiner älteren Schwester besuchte ich in Marburg ein

Oberlyzäum für Mädchen. Mit 17,5 Jahren wurde ich dann mit dem Notabitur im Oktober 1944 entlassen. Unser Abgangszeugnis würde uns aber erst nach Ableistung eines sogenannten Kriegseinsatzes ausgehändigt werden, erklärte man uns.

Zurückgekehrt von Marburg meldete ich mich sofort zur Erfassung in Frankenberg an (wahrscheinlich beim Landrats- oder Arbeitsamt) und wurde danach gleich zum Einsatz auf die Luftmunitionsanstalt 2/XII Frankenberg dienstverpflichtet.

Nach dem Krieg sind wir auf die Burg Hessenstein gezogen. Meine Eltern waren die ersten Jugendherbergseltern nach dem Krieg.

Ängstliche Blicke zum Himmel (Erinnerungen an die Muna)

Sie war 18 Jahre alt und hatte gerade das Notabitur abgelegt, als sie im Oktober 1944 auf der ,,Muna” ihren ,,Kriegseinsatz” begann. Die gefährlichen Giftgase die dort lagerten,
hätten bei einem Bombenangriff die ganze Region verwüsten können.
Angeregt vom Jubiläum ,,50 Jahre Burgwald” schrieb die Viermündenerin Erika Schulz ihre Erinnerungen nieder.
Zum 50-jähren Bestehen des heutigen Burgwalder Ortsteils Burgwald, das im August 1998 gefeiert wurde, erschien eine Ortschronik, in der zahlreiche Augenzeugen die Entwicklung von der ehemaligen Luftmunitionsanstalt zum heutigen Ortsteil schildern.
Dies regte die 72-jährige Viermündenerin Erika Schulz, geborene Bloedom an, ihre Erinnerungen an den ,,Kriegseinsatz” auf der ,,Muna” ‘aufzuschreiben.
Hier ist lhr Bericht:

ln meinem Elternhaus, dem Forsthaus in Roda, wohl behütet, als mittlere von drei Töchtern, bin ich aufgewachsen. Mit meiner älteren Schwester besuchte ich in Marburg ein Oberlyzeum für Mädchen. Mit gerade 18 Jahren wurde ich dann mit dem Notabitur im Oktober 1944 entlassen. Unser Abgangszeugnis würde uns aber erst nach Ableistung eines sogenannten Kriegseinsatzes ausgehändigt werden, erklärte man uns.lch meldete mich sofort zur Erfassung in Frankenberg an. (wahrscheinlich im Landrats- oder Arbeitsamt) und wurde gleich zum Einsatz an die Luft-Muna 2/Xll Frankenberg dienstverpflichtet. Auf diese Weise wurde ich dem Außendienst-Büro eines Ober-Feuerwerkers zugeordnet. Fortan war ich für die tägliche  Erfassung der gesamten zivilen Belegschaft zuständig. Ich  hatte alle Arbeiter aufzulisten, anwesend oder fehlende – krank – entschuldigt oder unentschuldigt. Bis 11 Uhr wurden in der Kommandantur dem Leiter der Muna, Oberst-Leutnant Freitag, persönlich die Listen vorgelegt. Neun bis zehn Stunden dauerte für uns ein Arbeitstag. Das hieß um 5 Uhr früh aufstehen und im Dunkeln an die Haltestelle des Muna-Autos gehen. Es handelte sich dabei um einen älteren Omnibus, der teilweise mit Holzvergaser betrieben wurde. Dieser brachte dann die Arbeiter von Rosenthal kommend über Roda – Ernsthausen – Münchhausen die Schafterbach hoch zur Muna. Alles in einem stark abgedunkelten Fahrzeug wegen feindlicher Flugzeuge. Allein schon diese Fahrt war ein Abenteuer. Bei Glatteis kam ‘s noch besser: ,,Frauen auf die Achsenfahrplätze setzen und Männer raus zum Schieben!.” Unser Busfahrer war Karl Salzmann aus Rosenthal. Die zivile Belegschaft kann man wohl auf 200 bis 300 Personen schätzen, die aus den nahegelegenen Dörfern stammten:
 – aus Rosenthal, Roda, Ernsthausen, Münchhausen, Wiesenfeld, Haine, Birkenbringhausen, Battenberg, Battenfeld, Allendorf, Röddenau, Geismar und Frankenberg.

Mein Arbeitsplatz befand sich in der Außendienstbaracke des Ober-Feuerwerkers W. Vohland. Sehr oft wurde ich eingesetzt bei einer Prüfungskommission, welche die unendlich vielen Kampfstoffbomben auf Unversehrtheit und Dichte zu untersuchen hatte – wegen der Korrosionsgefahr. lmmer griffbereit hatten wir die Gasmaske dabei. Es handelte sich bei den Kampfstoffen unter anderem um Lost, Phosgen, Chlorpikrin, Gelbkreuz und Grünkreuz. Bei den Korrosionsproben, bei denen ich auch wieder die Listen der überprüften Bomben zu katalogisieren hatte, sind etliche tragische Unfälle passiert. Ober-Feuerwerker Libau musste mit einer Gasvergiftung etliche Wochen nach Marburg ins Lazarett. Ober-Feuerwerker Hettler erlitt beim Umfüllen
einer undichten Bombe schwere Vergiftungen und starb nach zwei Tagen. Er wurde im ,,Waschhaus” aufgebahrt, in dem die vom Kampfstoff behafteten Anzüge und Schuhe der Arbeiter  jedes Mal auf das gründlichste entgiftet wurden. Auf dem Weg von unserer Baracke zum Waschhaus zur  Teilnahme an der Trauerandacht erlebte ich mit meiner  Kollegin Luise Schäfer Bordwaffenbeschuss durch feindliche  Flugzeuge.
Wir suchten erst in panischer Angst Schutz hinter einer Montagehalle, doch wurden wir dann von Luftwaffenschülern aufgescheucht und mussten in einem durch Schneewasser und Matsch verdreckten Splittergraben Zuflucht suchen. lnzwischen nahm der Krieg ganz bedrohliche
Formen an. Die Fronten bewegten sich zurück in Richtung Reichsgrenze. Demzufolge mussten die ausgelagerten Munitionsdepots wieder in der Heimat untergebracht werden.
Da die über 100 Erdbunker alle schon voll gelagert waren, wurden Freistapel  errichtet, notdürftig getarnt mit Brettern, Stämmen und Zweigen, manche waren auch mit Dachpappe
von oben zugedeckt. Diese Depots im Freien waren also der Witterung  ausgesetzt. Wenn zurückgeleitete Munitionszüge am Bahnhof  Birkenbringhausen ankamen, wurden sie nur nachts entladen wegen der Gefahr der Spionage und feindlichen Beschusses. Das alles geschah bei voller Verdunkelung. Es war also eine  schwere und sehr gefährliche Arbeit. lch hatte dabei nur Telefon- und Schreibdienst. Nach Entladung des  Munitionszuges, der über ein Anschlussgleis vom Bahnhof bis zur Muna kam, war der Nachtdienst zu Ende
und wir wurden  wieder per Bus nach Hause gebracht. Einmal bin ich dabei in arge Panik geraten. Es war stockfinster, kein Mond- oder Sternlicht und schwarze Nacht. Es dauerte lange,
bis ich den Bus Platz erreichte – mit gehörigen Beulen am Kopf, die ich  mir am Anrempeln von Bäumen geholt hatte!
Bei ruhigem Geschäftsbetrieb musste ich mit anderen Arbeiterinnen Zünder putzen, entrosten und einölen. Alle drei bis vier Wochen mussten wir uns zur Gasprobe in dem mit Tränengas gefüllten Kontrollraum einfinden. Wir absolvierten dabei verschiedene Bewegungsabläufe und waren jedes Mal froh, wenn die Gasmaske noch in Ordnung war. Sehr große Bedenken hatten wir immer beim Einflug von feindlichen Flugzeugen, wenn man bedenkt, zu welcher Katastrophe es für unser Gebiet hätte führen können! Wir beobachteten immer mit Schrecken, wenn größere Geschwader mit ihrer unheimlichen Bombenlast die Muna überflogen. Wir zählten manchmal 95 bis 100 oder sogar bis zu 110 Flugzeuge.
Einmal erlebten wir die Explosion eines Munitionszuges (gottlob ohne Giftgas), der nachts im Tunnel von Wiesenfeld und tagsüber in Ernsthausen auf dem Ausweichgleis
abgestellt war. Zwei ,,Jabos” (Jagdbomber) griffen an und stundenlang detonierten die vollen Waggons. Bei diesem Angriff wurde der Bahnhof in Ernsthausen zerstört.
Etwa 14 Tage vor Kriegsende fiel unser Muna-Bus aus, er war kaputt. lch musste dann mit meiner Schwester den Weg auf Schusters Rappen bewältigen. ln der Dämmerung ging es morgens los. Zuerst übers Feld, dort waren schon Hasen auf den Äckern und Wiesen zu sehen. Dann ging es an der ,,Bernhards-Hütte” vorbei, wo wir meist Rehe sahen.
Auf schmalen Waldwegen oder auch quer durch den Wald kamen wir dann nach etwa einer Stunde Fußmarsch auf der Muna an. Am letzten Tag vor der Kapitulation sahen wir dann kein Wild mehr, dafür aber freigelassene Kriegsgefangene oder Fremdarbeiter sogar auch vereinzelt Zigeuner,
die sich auf die Wanderschaft begeben hatten in Richtung Heimat, manche haben gesungen oder waren auch angetrunken. Meine ältere Schwester Jutta war übrigens knappe vier Monate auf der Muna eingesetzt auf der Schreibstube beim 1. Zug der Luft-Nachrichten-kompanie.
Sie hatte Wehrpässe  und Soldbücher zu vervollständigen. Da es nicht so viel zu  tun gab, füllte sie die übrige Zeit mit privatem Stricken aus. Der letzte Arbeitstag war für uns
der 29. März 1945. Es  wurden noch letzte wichtige Dokumente verbrannt.
Damit endete mein Kriegseinsatz, mein Abi-Abgangszeugnis erhielt ich erst ein gutes Jahr später. Am 30. März erreichten die Amerikaner unser Dorf und wir mussten für etwa vier Wochen das Haus der Besatzung überlassen.”

Erika Schulz, geborene Bloedom
HNA vom 6. Januar 1999